Ein Brunnen aus der Zeit, als das Wasser in die Häuser getragen werden musste.

Der Hirschnerbrunnen ist ein Beispiel für die Wasserversorgung in den Dörfern des Alpenrheintals im 19. und 20. Jahrhundert. Ein unscheinbarer Brunnen, gespiesen aus einer naheliegenden Quelle.

Im Gegensatz zu anderen Regionen war man in Dörfern des Alpenrheintals nur in wenigen Fällen darauf angewiesen, Oberflächenwasser – also Wasser aus Seen und Bächen – als Trinkwasser zu verwenden. Wo in der Nähe keine Quelle gefasst werden konnte, wurde Grundwasser mittels Zisternen- oder Sodbrunnen aus dem Boden bezogen.

Aus diesen Brunnen bezog man Wasser für den Hausgebrauch: Für Haushalt und Körperpflege, aber auch zum Kochen und Trinken. Grössere Brunnen waren oft auch Viehtränke, da nicht jedes Haus oder jeder Stall über einen eigenen Brunnen verfügte und die meisten Haushaltungen auch ein paar Stück Vieh hielten. Zudem war es im Falle eines Brandes von grösster Bedeutung, in der Nähe Wasser zu haben. Diese Quartierbrunnen waren wichtiger Bestandteil des Dorfbildes, aber auch des Dorflebens.

Erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Bau von Hausleitungen vorangetrieben. Die Bedeutung der zahlreichen Brunnen für die Anwohner wurde weniger. Da im 20. Jahrhundert die Viehhaltung im Dorf zurückging, wurden einige Tränken entfernt – andere blieben bestehen, so auch der Hirschnerbrunnen.

Der Hirschnerbrunnen wurde 1887 errichtet. Zumindest ist diese Jahreszahl in das metallene Überlaufrohr geritzt, das den Haupttrog mit dem Nebentrog verbindet.

Im Haus direkt neben dem Brunnen befanden sich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Lebensmittelladen und eine Wäscherei. Der Hirschnerbrunnen war also auch Wasserlieferant für die Wäscherei.

Erst vor wenigen Jahren wurde der Hirschnerbrunnen an das Trinkwassernetz der Gemeinde Sevelen angeschlossen. Bis dahin wurde der Brunnen über eine eigene Quellfassung mit Brunnenstube gespeist. Ganz in der Nähe, an der Felswand unterhalb des Eichenbüels, fliesst Wasser aus dem Fels. Dieses Wasser wurde gesammelt und über eine kurze Leitung in den Brunnen geführt. Die Anwohner sprachen vom besten Trinkwasser der Gemeinde. Die Quelle führt mal mehr, mal weniger Wasser, versiegte aber über den Lauf der Jahre nie. Bei heftigen Niederschlägen floss gar so viel Wasser, dass ein Überlauf neben der Brunnenstube dieses aufnehmen musste. Erst vor wenigen Jahren floss das Wasser spärlicher und versiegte erstmals seit über hundert Jahren – um den Wasserfluss und damit den Brunnen zu sichern, beschloss man, den Hirschnerbrunnen ans Trinkwassernetz anzuschliessen.

Da die einwandfreie Funktion des Brunnens vor allem im Interesse der unmittelbaren Nachbarn, den Wassernutzern, lag, besorgten diese in der Regel auch den Unterhalt dieser Brunnen. Die Anwohner organisierten sich meist in Korporationen oder Genossenschaften und waren für Reinigung, Sanierung und Unterhalt zuständig. Dafür entrichteten sie einen kleinen finanziellen Beitrag, um genügend Geld zu haben, sollte es nötig sein, Arbeiten an Externe zu vergeben.

Da die Buchführung der Brunnengenossenschaft Histengass – bis 2002 Betreiberin des Hirschnerbrunnens – im sogenannten Brunnenbuch zu grossen Teilen überliefert ist, lässt sich anhand der Unterlagen die Organisation dieser Anwohnervereinigung nachvollziehen. Die Geschichte der Brunnengenossenschaft Histengass zeigt exemplarisch, wie die gesellschaftlichen Veränderungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Einfluss auf lokale Strukturen und Organisationen haben: Durch Erbgänge waren einige Parzellenbesitzer nicht mehr Anwohner, Neuzuzüger waren an der Brunnengenossenschaft kaum mehr interessiert, da die Häuser alle über fliessendes Wasser verfügten und die Brunnengenossenschaften genügten mit ihrer losen Organisationsform nur mehr schwerlich den Anforderungen, die Verwaltung und Finanzinstitute an solche Vereinigungen stellen. Im Mai 2002 kam die Brunnengenossenschaft Histengass zum Schluss, dass es wohl einfacher und vielleicht zeitgemässer wäre, die Genossenschaft aufzulösen und den Unterhalt des Brunnens auf eine einzelne Person zu übertragen.

Der Brunnenmeister übernahm diese Aufgabe aus Freude am Brunnen und an der Tradition, die dahintersteckt. Durch diesen Einsatz konnte der Hirschnerbrunnen bestehen bleiben. Dies im Gegensatz zu den meisten dieser einst zahlreichen Brunnen; viele sind heute verschwunden.

Ehemalige Genossenschaftsmitglieder oder deren Nachkommen, die in der Nachbarschaft wohnhaft sind, wissen das Fortbestehen des Brunnens zu schätzen und unterstützen den Brunnenmeister mit persönlichem Einsatz, auch ohne Verpflichtung zur Arbeitsleistung. Sie schätzen den Hirschnerbrunnen als verbindendes Element der Nachbarn. Auch wenn der Brunnen an Bedeutung verloren hat und eher unscheinbar am Rand einer vielbefahrenen Strasse steht, ist er doch ein Zeugnis vergangener Zeiten.

Im Zuge der Strassensanierung wurde die unmittelbare Umgebung des Brunnens im Jahr 2024 neu gestaltet. Ein Zeichen der Wertschätzung für die Arbeit der Brunnengenossenschaften und als Erinnerung an vergangene Zeiten, als das Wasser noch in die Häuser getragen werden musste.

Der Hirschnerbrunnen
Histengass
9475 Sevelen
Hirschnerbrunnen